Sechs Tipps gegen Zoll-Turbulenzen
Die USA haben im April 2025 zusätzliche Zölle auf Schweizer Produkte eingeführt. Konkret wurde ein Aufschlag von 31 Prozent auf Importe aus der Schweiz erhoben, was über den Zollsätzen für die Europäische Union (20 %) und das Vereinigte Königreich (10 %) liegt. Hier sind sechs Strategien für den Einkauf.
Jakob Vestergaard, Managing Director Europe bei TrueCommerce – The Business Class Magazin. Diese neuen, horrenden Zölle gelten seit dem 9. April 2025 und betreffen unter anderem die Uhrenindustrie, die Maschinenindustrie und die Medtech-Branche. Pharma- und Goldprodukte sind jedoch vorerst ausgenommen. Die länderspezifischen reziproken Zölle wurden für 90 Tage ausgesetzt, aber die Basiszölle von 10 Prozent bleiben bestehen.
Die aktuelle Unberechenbarkeit stellt bisherige Beschaffungsstrategien grundsätzlich in Frage. Unter diesen unsteten Bedingungen verlieren langfristige Lieferverträge, eingespielte Lieferketten und bewährte Kalkulationsmodelle an Verlässlichkeit. Besonders problematisch: Anders als bei früheren Handelskonflikten, die oft auf einzelne Warengruppen oder Länder beschränkt waren, betreffen die aktuellen Massnahmen ein breites Spektrum an Produkten.
Eine Analyse des ifo Instituts zeigt: Die Auswirkungen der Zölle und Gegenzölle gehen weit über direkte Handelsbeziehungen hinaus. Indirekt beeinflussen sie letzten Endes auch Lieferketten, die auf den ersten Blick gar nicht betroffen scheinen. Werden beispielsweise Produkte aus China in Europa verarbeitet und dann in die USA exportiert, kann die mehrfache Zollbelastung zu erheblichen Kostensteigerungen führen.
Für Entscheider im Einkauf stellt sich jetzt die Frage, wie sie mit dieser neuen Realität umgehen. Die folgenden Strategien zeigen, wie Unternehmen ihre Lieferketten widerstandsfähiger gegen Zollturbulenzen gestalten können – ohne Wettbewerbsfähigkeit oder Versorgungssicherheit zu gefährden.

- Beschaffungsquellen strategisch diversifizieren
Auf einzelne Lieferanten oder Märkte zu bauen, ist in der aktuellen Situation existenzbedrohend. Eine Diversifizierungsstrategie mit Fokus auf Europa kann daher sinnvoll sein – denn im Kern geht es darum, eine zu hohe Abhängigkeit vom chinesischen Markt oder anderen Bezugsquellen für kritische Komponenten zu vermeiden. Eine Studie des Verbands der deutschen Automobilindustrie von 2022 zeigt etwa: Automobilzulieferer, die ihre Lieferantenbasis vor allem innerhalb der EU diversifiziert haben, sind deutlich weniger von Zollkonflikten betroffen. Die Diversifizierung von Lieferketten schafft Ausweichmöglichkeiten bei Störungen – und führt unterm Strich nicht zu weniger, sondern zu mehr Resilienz. Dabei ist die korrekte Bestimmung des Warenursprungs entscheidend, da sie über erhebliche Zolleinsparungen oder -belastungen entscheidet. Für eine erfolgreiche Diversifizierungsstrategie lohnt es sich, Lieferanten nach Regionen und entsprechend möglicher Zollrisiken aufzuschlüsseln.
- Kostenstrukturen analysieren
Die Kombination aus Zollerhöhungen und ungünstigen Wechselkursentwicklungen kann Einkaufskosten erheblich verteuern: Eine präzise Analyse tatsächlicher Kostenauswirkungen ist für Unternehmen daher entscheidend, um etwa mehrfache Zollbelastungen identifizieren zu können. Die Implementierung einer produktspezifischen TCO-Analyse (Total Cost of Ownership) bietet eine Grundlage für transparente Kostenstrukturen. Bei besonders kritischen Materialgruppen lohnt sich die Definierung von Schwellenwerten, bei deren Erreichung Handlungsempfehlungen ausgelöst werden. So können Kostenrisiken identifiziert und Ressourcen gezielt dort eingesetzt werden, wo Einsparungspotenziale liegen.
- Lieferantenverträge zukunftssicher gestalten
Genau jetzt ist der Zeitpunkt für Unternehmen, um bestehende Verträge zu prüfen und die Konditionen der Lieferbedingungen gegebenenfalls neu zu verhandeln. Entsprechende Zollklauseln dienen dabei der Absicherung und schützen vor unvorhergesehenen Kosten: So wird klar geregelt, wie bei Zolländerungen verfahren wird und wie diese zwischen den Parteien aufgeteilt werden. In volatilen Zeiten kalkulieren Verkäufer Zollrisiken oft mit hohen Aufschlägen ein. Regeln jedoch die Lieferbedingungen, dass der Käufer die Zollabwicklung übernimmt, sorgt das für mehr Kontrolle und Flexibilität.
«In der aktuellen Phase protektionistischer Tendenzen ist eine rein reaktive Einkaufsstrategie nicht mehr ausreichend.»
Jakob Vestergaard, Managing Director Europe bei TrueCommerce
- Wertschöpfungsstufen strategisch verlagern
Zollrisiken lassen sich nachhaltig reduzieren durch die gezielte Verlagerung von Wertschöpfungsketten. Während US-Unternehmen dabei auf einen größeren Binnenmarkt zurückgreifen können, müssen europäische Unternehmen kreativere Lösungen finden. Dabei kann es sich lohnen, gezielt auf de Stärken einzelner EU-Regionen zu setzen. Diese vertikale Integration innerhalb des zollfreien EU-Binnenmarkts schafft Wettbewerbsvorteile gegenüber stark fragmentierten globalen Lieferketten. Während Lieferantendiversifizierung schnell umsetzbar ist, erfordert die Verlagerung von Wertschöpfungsstufen langfristige Investitionen – oft ist eine Kombination beider Ansätze optimal.
- Digitale Technologien gezielt einsetzen
Erfolgreiches Navigieren durch ein komplexes Geflecht aus Zöllen wird immer entscheidender im Einkauf: Fortschrittliche Analyse-Tools und Supply-Chain-Management-Software kann Echtzeit-Transparenz für Bestand, Transportkosten und mögliche Störungen bieten. Diese Informationen liefern Unternehmen eine Basis, um fundierte Entscheidungen über Beschaffung, Preisgestaltung und Logistik zu treffen. Partner wie TrueCommerce bieten spezialisierte Lösungen für das Supply Chain Management an, die auch Funktionen für den internationalen Handel und Compliance umfassen. Mit solchen Lösungen lassen sich Zollprozesse digitalisieren und Handelsbeziehungen effizienter gestalten.
- Systematisches Zoll-Monitoring etablieren
Ob Zölle oder Gegenzölle: Fast täglich erreichen uns zurzeit Updates in der internationalen Handelspolitik. Diese dynamischen Entwicklungen im Auge zu behalten ist für Unternehmen aktuell nicht verhandelbar. Mit einem breit aufgestellten Monitoring lassen sich Zolländerungen sowohl in der EU, als auch in den USA und China erfassen. So lassen sich kritische Abhängigkeiten schnell identifizieren und entsprechende Massnahmen auf den Weg bringen.
Resilienz als Wettbewerbsvorteil. In der aktuellen Phase protektionistischer Tendenzen ist eine rein reaktive Einkaufsstrategie nicht mehr ausreichend. Wer frühzeitig auf Diversifizierung, Digitalisierung und Vertragsflexibilität setzt, kann nicht nur Risiken abfedern, sondern gezielt neue Chancen nutzen. Die Fähigkeit, Lieferketten flexibel und zukunftssicher auszurichten, wird damit zum entscheidenden Wettbewerbsfaktor – für Industrie, Handel und Logistik gleichermassen.