«Produktive Städte sind in der Zukunft vermehrt gewünscht.»
Es ist die grosse Standortfrage: Ist urbanes Wohnen und urbanes Produzieren ein Gegensatz? «Nein», sagt Johannes Eisenhut, Geschäftsführer SENN Development AG. Im Gegenteil: In der heutigen Welt würden sich beide Aspekte perfekt ergänzen.
Interview Matej Mikusik
Johannes Eisenhut, Sie schreiben, dass ein Revival der urbanen Produktion stattfinde. An was machen Sie das fest?
Es gibt im urbanen Raum unterschiedliche Bewegungen, die das Verhältnis der Stadt zum produzierenden Gewerbe gerade neu aushandeln. Zum Beispiel besteht schon seit einiger Zeit ein gesamtgesellschaftlicher Wille, die Distanz zwischen Arbeit und Wohnen zu verringern. Nicht im Sinne des Home-Office, da ja Produzierende aufgrund ihrer Arbeit davon ausgeschlossen sind. Aber in dem Sinne, dass Bestrebungen zur Reduktion von Verkehr und Mobilität, Visionen von der 15-Minuten-Stadt und dergleichen die alte Dichotomie von – weit bis sehr weit – auseinanderliegenden Gewerbe- und Wohngebieten, die aus der Epoche der Industrialisierung stammt, infrage stellen.
Was sind die konkreten Gründe dafür?
Der Strukturwandel wirkt sich direkt auf den Detailhandel aus: EG-Flächen, die lange hoch eingepreist waren, werden wegen des Onlinehandels vielerorts günstiger. Gleichzeitig führt derselbe Strukturwandel dazu, dass herstellende Betriebe vermehrt direkt verkaufen, online wie offline. Gleichzeitig stehen wir in einem Übergang zur Industrie 4.0: Digitalisierte und robotergestützte Produktionsverfahren ermöglichen die Herstellung von Gütern auf kleinerem Raum. Man braucht nicht mehr die riesige Produktionshalle auf der grünen Wiese, um seriell zu fertigen. Sogar die Grossindustrie dezentralisiert zunehmend die Produktion und bringt kleinere Produktionsstätten näher an oder in die Zentren. Umgekehrt muss ein urbaner Produzent, der wächst, nicht mehr zwingend aus der Stadt, weil er riesige Flächen braucht. Zu guter Letzt gibt es angesichts von Nachhaltigkeitsbestrebungen eine eindeutige Wiederbesinnung auf lokal Hergestelltes sowie eine Renaissance der Liebe zu «gutem» Handwerk und «guten» Materialien. Ein Trend der – traurigerweise – vom Wiedererwachen des Autarkie-Gedankens angesichts von Krieg und der Abkühlung unseres Verhältnisses zum Osten und fernen Osten beschleunigt wird.

Gibt es konkrete Beispiele für das Revival der urbanen Produktion?
Die «Made in St. Gallen» sowie die «Made in Zürich» Initiative, die ich vor vier Jahren mit Markus Freitag mitgegründet habe, verzeichnen grossen Zulauf. Bei der Stadt haben wir damit offene Türen eingerannt: Man möchte nicht nur Wohn- und Dienstleistungsstädte, sondern produktive Städte.
Wie wird die urbane Produktion in Zukunft aussehen?
Eine lebendige Stadt ist eine produktive Stadt. Sowohl im Hinblick auf künftige Mobilität – die Stadt der kurzen Wege – wie auch im Hinblick auf die Beschäftigung, Ausbildungs- und Lehrstellenthematiken braucht die Stadt Macherinnen und Macher. Sonst verödet sie. Ich sehe in der Verschränkung der obengenannten Rahmenbedingungen, insbesondere in der Überlagerung von Produktion, Online- und Direktverkauf, gute Chancen für urbane Produzenten. Ob dies die Bäckerei ist, die nicht anliefern lässt, sondern vor Ort produziert – John Baker als Beispiel – oder die Kaffeemaschinenfabrik, die Herstellung und Verkauf in der Stadt behält – Zuriga zum Beispiel – oder all die Betriebe, deren Kunden vor allem in der Stadt sind. Ich sehe insbesondere integrierte Formate, welche die Kundendichte der Stadt zur Wertschöpfung nützen können – mit Verkauf und Serviceangeboten – und dabei ihre Produktion erlebbar machen wollen.
Was für ein Interesse haben die Städte daran, das produzierende Gewerbe aus der Peripherie zurück in die Stadt zu holen?
Hauptthema ist der Verkehr. Wenn Menschen in einer Stadt in einem Radius von 1 km wohnen, arbeiten, einkaufen und konsumieren, ist das Verkehrsaufkommen um Faktoren niedriger, als wenn sie täglich 30 km von Wohn- zu Arbeitsort fahren, 10 km ins Einkaufszentrum und dann 15 km zum Nachtessen irgendwohin. Das Baurecht in der Schweiz ist sehr restriktiv bei gewissen Projekten. Welche Hindernisse müssen zuerst überwunden werden, damit ein Umfeld entstehen kann, in dem urbane Produktion mit dem städtischen Leben eine fruchtbare Symbiose eingehen kann? Man muss sich nichts vormachen, noch sind die Hindernisse hoch und das wird sich wohl auch nicht grundlegend ändern: Flächenpreise in der Stadt, Erschliessungsthematiken, Emissionsthematiken. Man muss schon etwas «spinnen», um in Zürich zu produzieren. Deshalb verstehen sich vielleicht die Mitglieder der «Made in Zürich» Initiative untereinander so gut. Aber eben: Es gibt auch Rückenwind. Respektive: Es gibt lohnende Gründe für gewisse Unternehmen, sich genau diesen Herausforderungen zu stellen.
Zurzeit geht das Schlagwort des «Kreislaufbauens» um. Können Sie uns das bitte ein wenig ausführen?
Die Hauptidee ist, dass Gebäude so konstruiert werden, dass sie wieder dekonstruiert werden können: So wird «Bauschutt» eben nicht mehr zu Abfall, sondern zu etwas, das effektiv wiederverwendet werden kann, und zwar möglichst als ganzes Bauteil und nicht als Granulat, da Bauen aus dem Granulat zwar Material wiederverwendet, aber wiederum Energie braucht. Umgekehrt steckt Bauen aus gebrauchten Materialien noch in den Kinderschuhen, weil Gebäude, die heute abgerissen werden, noch nicht wirklich kreislauffähig sind. Das heisst, es gibt noch keinen richtigen Markt und auch Garantien und Gewährleistung sind ein Problem. Aber: Wenn Gebäude heute kreislauffähig gebaut werden, gibt es morgen beim Abriss auch einen Markt für die Wiederverwendung von Gebäudeteilen.
Gibt es schon aktuelle Beispiele oder Planungen dazu?
Zum Beispiel etwa das Projekt HORTUS – www.hortus.ch – das SENN zusammen mit Herzog & de Meuron im Bachgraben Allschwil entwickelt. Es ist radikal kreislauffähig, gebaut aus Holz, Lehm, Altpapier und Photovoltaik. Weitere Projekte von SENN werden sich in vielem an diesem Pionierprojekt messen. Auch in der Kreislauffähigkeit.

Eine letzte Frage: Wie würde für Sie persönlich die perfekte Stadt der Zukunft aussehen – und was macht man dann mit der Agglomeration, damit die nicht verödet?
Die städtische Agglomeration wird kaum veröden. Im Gegenteil, sie wird Teil der Stadt. Dübendorf, Schlieren werden Subzentren. Die ländliche Agglomeration umgekehrt darf dann auch wieder pittoresker werden. Konkretes Beispiel für 2040: Ein lebenswertes, grünes und «brummendes» Zürich geht nahtlos über in einen lebendiges und geschäftiges Subzentrum Dübendorf mit eigenen Grünräumen und Qualitäten. Aus zurückgelassenen Gewerbehallen der Agglomeration werden durch Umzonung entweder spannende Mischnutzungsgebiete oder Sporthallen.
Der Kopf hinter SENN

Dr. Johannes Eisenhut ist Geschäftsführer von SENN Development AG. Als Familien-unternehmen ist SENN seit 1965 in der Entwicklung, Planung und Realisierung von Immobilien tätig. Kernkompetenz ist es, Grundstücke und Immobilien aus Liebe zum Ort über eine konsequente Nutzerausrichtung substanziell im Wert nachhaltig zu entwickeln und mit anspruchsvoller Architektur wirtschaftlich zu realisieren.
Kontakt: ej@senn.com, senn.com