«Inklusion ist kein Nice-to-have, sondern ein Wettbewerbsvorteil.»
Diversity, Equity & Inclusion (DEI) polarisiert: Nachdem Unternehmen, Institutionen und Bildungseinrichtungen in den vergangenen Jahren verstärkt auf Vielfalt und Chancengleichheit gesetzt haben, schlägt ihnen zunehmend Gegenwind entgegen. In den USA gerät DEI ins politische Kreuzfeuer und auch in Europa wird die angeblich «woke» Agenda von rechtspopulistischer Seite angegriffen.
Gerade jetzt zeigt sich, wie unverzichtbar der Einsatz für Vielfalt und Inklusion ist: Angesichts globaler Krisen, zunehmender Polarisierung und wachsender sozialer Ungleichheit braucht es mehr denn je Strukturen, die Vielfalt nicht nur zulassen, sondern aktiv fördern und damit wirtschaftlichen Erfolg zu erzielen. Was es dazu braucht, verrät uns DEI-Experte Marc Maurer von Mitt Liv.
The Business Class Magazin – Herr Maurer, was hat Sie persönlich motiviert, sich mit inklusiver und fairer Unternehmenskultur zu beschäftigen? Wie hat sich Ihre Perspektive darauf im Laufe Ihrer Karriere verändert?
Marc Maurer – Meine Motivation basiert auf der tiefen Überzeugung, dass alle Menschen gleich behandelt werden sollten. Früh in meiner Karriere habe ich miterlebt, wie Mitarbeitende unfair behandelt wurden – sei es aufgrund ihres Alters, ihrer Herkunft, Ausbildung oder sexuellen Orientierung. Diese Erfahrungen haben mir gezeigt, wie wichtig es ist, Inklusion ganzheitlich zu verstehen und nicht nur, wie in der Schweiz üblich, auf Genderfragen zu reduzieren. Heute sehe ich Inklusion nicht nur als moralische Verpflichtung der Unternehmen, sondern als entscheidender Faktor für wirtschaftlichen Erfolg. Denn vielfältige Perspektiven fördern echte Diskussionen und Innovationen. Diese ganzheitliche Sichtweise prägt mein Engagement bis heute.

Was sind die gängigsten Missverständnisse zum Thema inklusives Arbeitsumfeld?
Ein häufiges Missverständnis ist, dass eine inklusive Unternehmenskultur sich nur auf die Integration von Menschen mit Behinderungen beschränkt. Tatsächlich richtet sie sich aber an alle Mitarbeitenden – unabhängig von Alter, Herkunft, Ausbildung, Geschlecht oder anderen Merkmalen. Viele glauben ausserdem, Inklusion «passiert einfach so». Doch eine wirklich inklusive Unternehmenskultur muss strategisch geplant und aktiv umgesetzt werden. Veränderungen in der Unternehmenskultur brauchen Zeit – oft Jahre – und erfordern eine langfristige Planung, klare KPIs sowie Geduld. Ein weiteres Missverständnis ist, dass Inklusion allein in den Verantwortungsbereich von HR gehört. Erfolgreiche inklusive Kultur muss in der Geschäftsleitung verankert und von ihr vorangetrieben werden. Führungskräfte und Vorgesetzte spielen dabei eine entscheidende Rolle und müssen Inklusion als Vorbild leben.
Wo steht die Schweiz aktuell in Sachen Diversity, Equity & Inclusion im internationalen Vergleich?
Thema Nummer 1 in der Schweiz bleibt das Thema «Gender». Die bessere Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt ist weiterhin eine grosse Herausforderung, und im internationalen Vergleich liegt die Schweiz hier nach wie vor eher im hinteren Feld. Besonders im oberen Management und bei Führungspositionen sind Frauen deutlich unterrepräsentiert.
Wie verändert der gesellschaftliche Wandel die Anforderungen an DEI-Strategien?
Gesellschaftlicher Wandel beeinflusst DEI-Strategien unmittelbar. Zwei zentrale globale Megatrends prägen diese Entwicklung aktuell besonders stark: Migration und der Generationenwechsel. Bis 2030 werden über 2,2 Millionen Menschen in der Schweiz pensioniert sein – allein 2024 erhielten bereits 1,8 Millionen eine Altersrente. Der demografische Wandel führt dazu, dass dem Schweizer Arbeitsmarkt dringend benötigte Fachkräfte fehlen werden. Gleichzeitig ist die Geburtenrate – wie in vielen europäischen Ländern – zu tief, um diese Lücke aus eigener Kraft zu schliessen. Das bedeutet: Die Schweiz ist langfristig auf Zuwanderung angewiesen, um wirtschaftlich stabil zu bleiben.
Und das heisst?
Daraus ergibt sich ein klarer Handlungsauftrag für Unternehmen: Die Integration von ausländischen Fachkräften muss ein zentraler Bestandteil der DEI-Strategie sein. Es braucht gezielte Massnahmen zur sprachlichen, kulturellen und strukturellen Integration, nicht nur der Arbeitskräfte selbst, sondern auch ihrer Familien, um langfristige Bindung zu fördern.
«Diversität umfasst nicht nur Alter, Herkunft oder Geschlecht, sondern auch unterschiedliche gesundheitliche Voraussetzungen und Leistungsniveaus.»
DEI-Experte Marc Maurer von Mitt Liv
Was raten Sie Führungskräften, die in ihrem Unternehmen ein inklusiveres Klima fördern wollen, aber unsicher sind, wie sie erste konkrete Schritte unternehmen können?
Ich rate: Fangen Sie im Kleinen an – aber fangen Sie an. Inklusives Klima entsteht durch Haltung und Handeln im Alltag, nicht durch perfekte Strategien. Drei konkrete Schritte helfen beim Einstieg:
- Zuhören: Schaffen Sie Raum für offene Gespräche und lernen Sie von Mitarbeitenden.
- Vorbild sein: Setzen Sie klare Zeichen für Vielfalt und Respekt.
- Prozesse prüfen: Hinterfragen Sie Routinen, die unbewusst ausschliessen, und passen Sie sie an.
Für ein diverses Arbeitsumfeld spielt auch das richtige Recruiting eine wichtige Rolle. Wie gelingt echte Vielfalt in diesem Bereich?
Echte Vielfalt im Recruiting erfordert gezielte Strategien: inklusiv formulierte Stellenanzeigen, die Ansprache über vielfältige Kanäle und strukturierte, bias-sensible Auswahlprozesse. Viele Unternehmen scheitern daran, weil sie unbewusste Ausschlussmechanismen nicht erkennen – etwa durch stereotype Anforderungsprofile, homogene Auswahlgremien oder den Fokus auf den «kulturellen Fit» zum Unternehmen. Vielfalt entsteht nicht durch Absicht, sondern durch konsequente Veränderung von Prozessen und Perspektiven.
Was sagen Sie Führungskräften und dem oberen Management, wenn es darum geht, den wirtschaftlichen und kulturellen Mehrwert von Inklusion zu vermitteln?
Inklusion ist kein «Nice-to-have», sondern ein klarer Wettbewerbsvorteil. Vielfältige Teams bringen unterschiedliche Perspektiven zusammen, fördern Innovation und verbessern Entscheidungen – das stärkt die Leistungsfähigkeit und Anpassungsfähigkeit eines Unternehmens. Gleichzeitig schafft ein inklusives Arbeitsumfeld höhere Mitarbeiterzufriedenheit und bindet Talente langfristig.

Welche Rolle spielt Diversität auch im Hinblick auf unterschiedliche gesundheitliche Voraussetzungen oder Leistungsniveaus?
Diversität umfasst nicht nur Alter, Herkunft oder Geschlecht, sondern auch unterschiedliche gesundheitliche Voraussetzungen und Leistungsniveaus. Wenn Unternehmen diese Vielfalt anerkennen und unterstützen, schaffen sie ein Umfeld, in dem alle Mitarbeitenden ihr Potenzial entfalten können. Eine inklusive Unternehmenskultur fördert Resilienz und Produktivität, indem sie flexible Arbeitsmodelle, barrierefreie Zugänge und individuelle Anpassungen ermöglicht. So werden Belastungen reduziert und Gesundheit erhalten. Gleichzeitig steigt die Motivation, weil Mitarbeitende spüren, dass ihre individuellen Bedürfnisse wertgeschätzt werden.
Was raten Sie kleinen und mittleren Unternehmen, die glauben, Diversität und Inklusion sei nur ein Thema für Konzerne, obwohl sie gerade jetzt mit klaren Werten und echter Inklusion punkten könnten?
Ich rate kleinen und mittleren Unternehmen, Diversität und Inklusion als echte Chance zu sehen, gerade weil sie oft flexibler und persönlicher agieren können als grosse Konzerne. Mit klaren Werten und echtem Engagement lassen sich Talente anziehen, die genau diese Kultur suchen. Damit können sich KMU auch von ihren Mitbewerbern unterscheiden.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Schweizer Arbeitswelt in Bezug auf Inklusion am Arbeitsplatz?
Ich wünsche mir eine Schweizer Arbeitswelt, in der Inklusion selbstverständlich gelebt wird – unabhängig von Herkunft, Alter, Geschlecht, körperlichen Voraussetzungen oder anderen Unterschieden. Eine Kultur, in der Vielfalt nicht nur akzeptiert, sondern aktiv gefördert wird, weil sie als wertvoller Motor für Innovation, Kreativität und wirtschaftlichen Erfolg erkannt wird. Ich hoffe, dass Führungskräfte dabei als wichtige Multiplikatoren mutig vorangehen, Barrieren abbauen und Räume schaffen, in denen sich alle Mitarbeitenden sicher, respektiert und gehört fühlen.