Geklonte Manager: Der grosse KI-Selbstversuch
Vor einem Jahr startete Martin Giesswein, Digitalisierungsexperte und langjähriger Vortragender der WU Executive Academy, ein Experiment: Er wollte sich als Führungskraft und Unternehmer durch Künstliche Intelligenz überflüssig machen. Für die wichtigsten Aufgaben seines beruflichen Alltags wählte er die aktuell besten KI-Tools aus und überliess ihnen die Arbeit. Das kam dabei heraus…
Von Martin Giesswein, Digitalisierungsexperte und Dozent
- Mitarbeitergespräche mit KI-Coaching
Gespräche sind wichtig und nehmen viel Zeit in Anspruch. Da möchte ich alles richtig machen. Vor schwierigen Gesprächen habe ich mich von Sprach-KIs coachen lassen, meist während meiner Zug- und Autofahrten. Die KI simulierte anhand meiner Beschreibungen das Gesprächsverhalten des jeweiligen Kollegen und gab mir Anregungen für eine motivierende Gesprächsführung und effektive Fragetechniken. Auch ich selbst stehe mit dem Wissen aus meinen Büchern als Chat-KI für meine Kollegen und Klienten zur Verfügung. Verwendete Tools: character.ai, pi.ai, hallospohia.com
«Wann immer ich einen guten Business-Gedanken hatte, sprach ich die frischen Ideen in mein Smartphone und liess die Texte von der KI transkribieren.»
Von Martin Giesswein, Digitalisierungsexperte und Dozent
- Meetings ohne mich
Einen grossen Teil meiner Zeit beanspruchten Online-Meetings, bei denen ich aber keine fachliche Hauptrolle hatte. Ich schickte im Vorfeld einer Videokonferenz nur mehr meine Agendapunkte und einen KI-Klon, der mich während den Meetings ersetze – ich selbst blieb aber immer öfter fern. Meine menschlichen Kollegen diskutierten, erarbeiteten Lösungen und verteilten Aufgaben – ohne mein physisches Zutun. Wenige Minuten nach den Meetings hatte ich eine KI-Zusammenfassung des Gesagten und die zugewiesenen Tasks in meinem Posteingang. Verwendete Tools: Fireflies, Sembly, MS Teams mit Co-Pilot, apollo.ai
- Schneller Vorträge, Konzepte und Präsentationen erstellen
Wann immer ich einen guten Business-Gedanken hatte, sprach ich die frischen Ideen in mein Smartphone und liess die Texte von der KI transkribieren (verwendetes Tool: sonix). Die spätere detaillierte Recherche zum Thema wurde mir durch perplexity.ai erleichtert. Diese KI gibt zu jedem ihrer Vorschläge einen Weblink an. So konnte ich schnell die Quelle und die Richtigkeit überprüfen. Die von mir definierten Inhalte lud ich in KI-Tools wie Gamma.ai oder PowerPoint mit Co-Pilot und sparte so in der Regel 1-2 Stunden pro Präsentation oder Vortragstext.
- Abbau von Datensilos: Ein ERP an einem Sonntag
Zusammen mit einem Logistikunternehmen stellte sich mein Team der Herausforderung, die Funktionen ihres Bestell- und Liefersystems mit Hilfe von KI nachzubilden. An einem einzigen Sonntag konfigurierten wir ein rudimentäres ERP-System mit ChatGPT von openai.
Dieses war in der Lage, Kunden über Lieferzeiten und Produktverfügbarkeit zu informieren und sogar Ersatzprodukte je nach Lagerbestand vorzuschlagen. Um die Aufgabe bewusst komplexer zu gestalten, verteilten wir die Daten auf drei verschiedene Datenbanken. Trotz dieser Hürde hat die generative KI alle Kundenanfragen korrekt beantwortet. Diese «synthetische KI» birgt enormes Potenzial, um die leidigen Datensilos in unseren Unternehmen zu überwinden.
- Team-Building mit KI
Statt Flösse zu bauen und über Teiche zu paddeln, haben wir uns für ein KI-gestütztes Teambuilding entschieden. Mit Hilfe von Midjourney, RunwayML und Suno verwandelten wir uns in kurzen Videos im Marvel-Stil in Superhelden, inklusive passendem KI-Soundtrack. Neben dem Teamgeist wurde so auch jede Menge KI-Know-how geschaffen – und: der Spass kam nicht zu kurz.
- Geschäftsführer-Betrug (CEO-Fraud) 2.0
Um das Thema Betrugsversuche mit Hilfe von KI zu beleuchten, habe ich in Trainings an der WU Executive Academy meinen täuschend echt wirkenden KI-Avatar mit geklonter Stimme eingesetzt (verwendetes Tool: heygen). Gemischt mit echten Videos von mir mussten die Teilnehmenden ihre detektivischen Fähigkeiten unter Beweis stellen und die gefälschten Versionen entlarven. Auch wenn Videokonferenzsysteme immer mehr Sicherheit bei der Identifizierung bieten: Letztendlich müssen wir Menschen entscheiden, ob unser Gegenüber ein Mensch oder ein Betrüger mit KI-Unterstützung ist.
Fazit: Bin ich nun als Manager ersetzbar?
Die KI hat mich nicht ersetzt, aber meine Produktivität wurde massiv gesteigert. Obwohl die eingesetzten Systeme (noch) nicht perfekt sind, habe ich im letzten Jahr durchschnittlich fünf Stunden pro Woche eingespart. Zeit, die ich für mein Unternehmen oder meine Familie nutzen konnte. Bis die KI einen Manager oder eine Führungskraft gänzlich ersetzen kann, wird es noch lange dauern. Aber einzelne Managementaufgaben übernimmt KI schon heute – und das in einer erstaunlichen Qualität.
Über den Autor:
Martin Giesswein unterrichtet Digitalökonomie und Leadership, ist Fakultätsmitglied der WU Executive Academy, Buchautor, Podcaster, Executive Sparring Partner und Mit-Initiator der Community DigitalCity.Wien. Als CEO leitete er den Exit des Onlineportals immobilien.net an Scout24. Zuvor atmete er 15 Jahre Konzernluft, zuletzt als General Manager von Nokia Phones Austria/Adriatics.